"Wenn wir zulassen, dass Frauen eine Rolle zweiter Klasse spielen, sehen manche Männer darin eine Legitimation, Frauen zu beherrschen."
“Niemand wist dat ik geterroriseerd werd, want ik bracht mijn dagen door met het te verbergen. Ik wist dat het niet normaal was maar ik voelde me in een hoek geduwd. Het was mijn keuze om in een nieuw samengesteld gezin te stappen: hij met zijn kinderen en ik met de mijne.”
Sechs starke Frauen sitzen vor mir. Frauen, die beschlossen haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und die gemeinsam zu mir gekommen sind, um mir ihre Geschichte zu erzählen. Drei Stunden lang höre ich mir all die Gewalt an, psychisch, physisch, und finanziell, die diese Frauen seit Jahren ertragen müssen. Es sind nicht nur Schläge und Tritte, betonen sie. Viele Opfer müssen tagein, tagaus Demütigungen, Manipulationen und Isolation ertragen. Sie sind bösen, giftigen Kommentaren ausgesetzt, die ihr Selbstwertgefühl untergraben. Dadurch verstricken sie sich immer tiefer in das Netz eines Mannes, der seine Macht um jeden Preis ausüben und erhalten will.
Mindestens 24 Morde an Frauen bis 2023
Und es sind viele Frauen. Umfassende Zahlen zur Gewalt gegen Frauen sind derzeit nur schwer zu ermitteln, da ein Großteil der Gewalt hinter verschlossenen Türen stattfindet. Zudem haben viele Frauen Angst, mit jemandem darüber zu sprechen. Zahlen aus Europa zeigen, dass jede dritte Frau schon einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt hat. Doch wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. Wir sehen es nur, wenn die Kontrolle entgleist, oft dann, wenn die Macht des Mannes in Frage gestellt wird, wenn die Frau sich wehrt und die Beziehung verlässt. Der Blog Stop Feminicide, der alle Frauenmorde verfolgt, stellt fest, dass in diesem Jahr bereits mindestens 24 Frauen ermordet wurden.
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren viel getan, um Gewalt gegen Frauen und Frauenmorde so weit wie möglich einzudämmen. Kurz vor der Sommerpause haben wir das Femizid-Stop-Gesetz verabschiedet. Ein europaweit einzigartiges Gesetz, das zahlreiche Maßnahmen auf den Weg bringt, um diese Gewalt bestmöglich zu verhindern und zu bekämpfen. So wird zum Beispiel der mobile Stalking-Alarm landesweit eingeführt, damit Frauen diskret die Polizei rufen können, wenn sie sich bedroht fühlen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Richter und Polizisten werden geschult, alle Formen von Gewalt zu erkennen, die verschiedenen Maßnahmen werden gestrafft und die Datenlage verbessert. Opfer sexueller Gewalt können sich an die Beratungsstellen für Opfer sexueller Gewalt wenden. Dies ist ein einzigartiger Ort, an dem die Opfer rund um die Uhr medizinische und psychosoziale Hilfe erhalten. Auf Wunsch können sie dort auch Anzeige erstatten.
Diese Arbeit konnten wir nur leisten, weil wir uns auf die breiten Schultern der Zivilgesellschaft stützen konnten: die vielen Frauenbewegungen in unserem Land, die Jahr für Jahr an die Türen der verschiedenen Regierungen geklopft haben mit der Botschaft: Nehmt diese Gewalt endlich ernst.
85% der Frauen weltweit sind Opfer von Cybergewalt
Das ist auch der Grund, warum Belgien während seiner EU-Ratspräsidentschaft die Verabschiedung der Richtlinie gegen Gewalt gegen Frauen zu einer Priorität gemacht hat. Es wird neue Maßnahmen und härtere Strafen gegen Vergewaltigung, Genitalverstümmelung und Cybergewalt geben. Die Gewalt gegen Frauen in der Offline-Welt verschärft sich online. Zahlen der Economist Intelligence Unit zeigen, dass 85 % der Frauen weltweit Opfer von Gewalt im Internet werden, sei es durch Bekannte, Ex-Partner oder völlig Fremde, und dass die überwiegende Mehrheit der Täter (86 %) Männer sind. Unser Land will die Richtlinie noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Der Damm gegen Gewalt ist längst überfällig.
Wie kann eine Frau ihre Freiheit einfordern, wenn sie finanziell von einem Mann abhängig ist?
Es braucht mehr als Jahresberichte, Checklisten und wissenschaftliche Ausschüsse. Egal wie ausgeklügelt unsere Ansätze sind, egal wie viele Menschen umgeschult werden, solange es keine faktische Gleichstellung von Frauen und Männern gibt, werden wir es mit ungleichen Machtverhältnissen zu tun haben. Wenn eine Frau finanziell von einem Mann abhängig ist, wie kann sie dann ihre Freiheit einfordern?
Formal sind Frauen und Männer zwar gleichberechtigt, aber die reale Benachteiligung von Frauen ist noch lange nicht überwunden. Frauen leisten den Großteil der unbezahlten Arbeit, sie verdienen immer noch deutlich weniger, sie sind in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert und so weiter. Als Staatssekretärin versuche ich, mit Vorschlägen zu Lohntransparenz und Quoten darauf zu reagieren, und während der belgischen Ratspräsidentschaft bringt unser Land alle Gleichstellungsministerinnen und -minister zusammen, um sich gegenseitig zu inspirieren.
Aber seien wir ehrlich: Die Dinge bewegen sich langsam, zu langsam. Die Frauen, die hier vor mir sitzen, sind Zeugen davon. Es führt kein Weg daran vorbei: Wenn wir es zulassen, dass Frauen eine Rolle zweiter Klasse spielen, sehen manche Männer darin eine Legitimation, Frauen zu dominieren.
Weitere Informationen:
Opfer von sexueller Gewalt können sich an Opferhilfestellen wenden (zsg.belgium.be), bei anderen Formen von Gewalt an die Hotline 1712 (1712.be).